Ich betreue Abschlussarbeiten als Erst- und Zweitgutachter im Bachelor und Master, sofern Kapazitäten vorhanden sind und thematische Passgenauigkeit gegeben ist. Auf dieser Seite findest Du alle wesentlichen Informationen und erste Ansatzpunkte für Themen.
Organisatorisches
In der Regel werden Abschlussarbeiten im Rahmen des gemeinsamen Kolloquiums von Prof. Dr. Franziska Martinsen, Dr. Annette Förster und mir vorbereitet. Die genauen Termine und Anmeldeinformationen finden sich hier.
Ob ein Besuch des Kolloquiums für Dein Projekt Sinn macht, lässt sich am besten durch einen kurzen ersten Austausch per Mail klären. Voraussetzung dafür wäre:
1. Du benötigst eine erste inhaltliche Orientierung im Themenfeld der Abschlussarbeit. Entsprechend sollten einige grundlegende Texte intensiv gelesen werden. Thematische Ansatzpunkte findest Du unten.
2. Auf Basis dieser ersten Orientierung überlege Dir bitte erste genauere Frage- oder Problemstellungen, die Du gerne bearbeiten möchtest.
3. Verschriftliche die Punkte 1 und 2 in Form eines Kurzexposés (halbe Seite, kurze und vorläufige Beschreibung des Vorhabens) und schicke es an ingmar.hagemann@uni-due.de.
Thematische Ansatzpunkte
Hier findest Du ein paar Ansatzpunkte für mögliche Fragestellungen / Themenfelder. Weitere Inspirationen findest Du in den thematisch getaggten Lektürelisten auf dieser Webseite.
Die Ansalyse von politischen Objekten mit Hilfe der Akteur-Netzwerk-Theorie.
Eine wesentliche Idee der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) ist die aktive Rolle von Objekten in sozialen Situationen. Objekte wie bspw. ein einzelnes Hilfsmittel (ein Telefon), eine komplexe Objekt-Konfiguration (ein Plenarsaal oder ein Konferenztisch) oder Protestsymbol (ein Regenschirm bei den Protesten in Hongkong 2014) sind also nicht als passive Elemente zu verstehen, sondern sie prägen auf ihre sehr spezifische Art und Weise Phänomene des Politischen: bestimmte soziale Dynamiken werden durch Objekte angestoßen, andere eher unwahrscheinlich gemacht. Bei der Analyse sozialer (politischer) Dynamiken müssen im Sinne der ANT Objekte viel stärker in den Blick genommen werden, um diese sozialen Phänomene angemessen analysieren und verstehen zu können.
Die ANT bietet ein umfangreiches sozialtheoretisches und methodisches Programm, um Objekte als sozial wirksame Akteure analysieren zu können. Abschlussarbeiten in diesem Bereich können hier ansetzen und entlang der Analyse exemplarischer politischer Objekte zur Integration der ANT in das theoretische und methodische Portfolio der Politikwissenschaften beitragen.
Empfehlung zum Einstieg in das Thema
Gertenbach, Lars; Laux, Henning (2019): Zur Aktualität von Bruno Latour, Wiesbaden: Springer VS.
Praxistheoretische Perspektiven auf politische Phänomene
Während in den Nachbardisziplinen schon seit einigen Jahren der Begriff der Praxis diskutiert wird, ist die Anzahl der Arbeiten in der Politikwissenschaft, die sich explizit und detailliert mit den praxeologischen Sozialtheorien beschäftigen, weiterhin übersichtlich. Dies ist bedauerlich, denn die praxistheoretischen Perspektiven würden es der Politikwissenschaft ermöglichen, über den Begriff der Praxis deutlich mehr der Vielfalt, Vielschichtigkeit und komplexen Dynamiken politischer Phänomene zu erfassen.
Mitttels des Begriffs der Praxis verschiebt sich der sozialwissenschaftliche Analysefokus – nicht mehr das individuelle Handeln oder Strukturen werden als Erklärungsansatz für soziale Phänomene in den Blick genommen, sondern die Handlungspraxis der Subjekte, eingebettet in die vergangenen, aktuellen und sie umgebenden Praxissituationen mit all ihrer Komplexität und Dynamik. Soziale Praxis ist der Ort des Sozialen. Die Frage von Kontinuität und Wandel einer sozialen Ordnung, also wie sich das Soziale konstituiert, findet sich demnach in den unendlich vielen Praxissituationen einer Gesellschaft beantwortet. Aus dieser anti-essentialistischen Perspektive einer „flachen Ontologie“ des Sozialen (Vgl. Schatzki) ist es nicht möglich, einem bestimmen Ort oder Phänomen des Sozialen a priori besondere Prägekraft für die Konstitution einer sozialen Ordnung zuzuschreiben. Es ist vielmehr eine auf soziale Praxis bezogene empirische Frage.
Die praxeologische Forschungsperspektive fokussiert dabei nach Reckwitz den Blick auf die Bewältigung konkreter sozialer Praxis, die durch Aspekte und Dynamiken geprägt ist, die zwar schon immer Teil des Sozialen waren, aber bislang nicht hinreichend beachtet wurden.
Die Körper der Subjekte werden für verschiedenste Handlungen kompetent gemacht, in ihnen schreiben sich Kompetenzen, Wissen, Intuitionen und Routinen ein. Gerade deshalb sind Körper essentieller und vor allem prägender Bestandteil jeder sozialen Interaktion. Ähnlich verhält es sich mit Artefakten als zweite Seite der Materialität des Sozialen, denn spezifische Artefakte ermöglichen in jeweils spezifischen Situationen bestimmte Interaktionsdynamiken. Zentral für die Bewältigung von Praxissituationen ist das im Regelfall implizite praktische Wissen. Unter diesem Begriff versammelt sich beispielsweise das interpretative Verstehen von Bedeutungen eingesetzter Gesten, Gegenstände oder Rollen sowie skript-förmiges Wissen über die „richtige“ Abfolge von Handlungen und nicht zuletzt das emotional-affektive Gespür für das Ziel und das Angemessene in der spezifischen Praxissituation.
Abschlussarbeiten im Bereich der praxistheoretischen Ansätze bietet sich eine Vielzahl an Anzatzpunkten, um spannende Analysen bekannter politischer Phänomene zu erstellen. Gleichzeitig können diese Abschlussarbeiten auf ein reichhaltiges sozialtheoretisches und methodisches Programm der praxistheoretischen Ansätze zurück greifen.
Empfehlung zum Einstieg in das Thema
- Reckwitz, Andreas (2003): Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive, in: Zeitschrift für Soziologie 2003, Jg. 32, H. 4, S. 282- 301.
- Hagemann, Ingmar: Praxistheoretische Politikwissenschaften, in: theorieblog (2017).
Hegemonieanalysen der grünen Bewegung
Klima- und Umweltschutzthemen sind in der Gegenwart omnipräsent. Die Wichtigkeit und Priorität dieser Themen erscheint auf dem ersten Blick unstrittig.
Eine genauere Beobachtung zeigt aber, dass die faktischen gesellschaftlichen Transformationen bislang begrenzt gewesen sind: die sogenannte Ökologische Modernisierung als zentrale Sozialtechnologie zur Umsetzung des praktischen Klimaschutzes (bspw. in Form des CO2-Zertifikatehandels) sieht keine radikalen Änderungen vor, sondern operiert explizit innerhalb des bestehenden Systems.
Analysen mit Hilfe der Hegemonieanalyse nach Laclau / Mouffe und Nonhoff ermöglichen es, diese Ambivalenz von Erfolg grünen Bewegung einerseits und Beharrungsfähigkeit bestehender sozialer Ordnungen greifbar zu machen. Mit Hilfe der Analyse hegemonialer Strategien wird erfassbar, wie im Diskurs hegemoniale Projekte, also Strategien zur Etablierung diskursiver Vorherrschaft, miteinander ringen.
Analysen mit Hilfe der Hegemonieanalyse können die Entwicklungsgeschichte von Teilprojekten im Bereich der grünen Bewegung erfassen: bspw. Ideen / Projekte wie Nachhaltigkeit, Ökologische Modernisierung, Klimagerechtigkeit, Dekarbonisierung, CO2-Inwertsetzung, Green New Deal… Darüber hinaus ist es mit der Hegemonieanalyse möglich, das Ringen unterschiedlicher hegemonialer Projekte in ihrem strategischen Verhältnis zueinander zu beschreiben (bspw. das Verhältnis von grüner Bewegung und der von ihr kritisierten Industriegesellschaft (als Synonym für das Primat von Wachstum)).
Die Hegemonieanalyse verfügt über ein umfangreiches sozialtheoretisches Programm, um verschiedene Aspekte der Prägekraft von diskursiven Strategien theoretisch und empirisch zu erfassen (bspw. ein empirisch gewonnenes Set üblicher hegemonialer Strategien, Subjekttheorie, Artikulationstheorie, Diskurstheorie…)
Zugleich existiert ein robustes methodisches Instumentarium zur empirischen Analse von hegemonialen Strategien, sodass in der Summe interpretative Arbeiten mit hoher empirischer Sättigung, komplexen sozialtheoretischen Reflexionsniveau und erkenntnisreichen Ergebnissen realisiert werden können.
Empfehlungen zum Einstieg in das Thema
- Nonhoff, M. (2006). Politischer Diskurs und Hegemonie. Das Projekt “Soziale Marktwirtschaft.” Bielefeld: transcript.
- Krüger, T. (2013). Das Hegemonieprojekt der ökologischen Modernisierung. Leviathan, 41(3), 422–456.
- Vey, Judith; Leinius, Johanna; Hagemann, Ingmar (2019): Handbuch Poststrukturalistische Perspektiven auf soziale Bewegungen. Ansätze, Methoden und Forschungspraxis, transcript, als Open Access online verfügbar.
- Hagemann, Ingmar (2016): Das gegenhegemoniale Moment der Demokratie. Gegenhegemoniale Projekte und demokratische Demokratie am Fallbeispiel der grünen Bewegung, Universität Duisburg-Essen, als Open Access online abrufbar.
Postwachstum (als Idee, Ansatz zur sozialen Transformation und Form einer sozialen Bewegung)
Rund um die Idee des Postwachstums entwickelt sich aktuell eine spannende Dynamik, denn erstmals seit Jahrzehnten wird ein recht detaillierter Vorschlag zur tiefgreifenden sozialen Transformation formuliert und findet zugleich auf verschiedensten Ebenen Nachhall in der Gesellschaft: bspw. durch zahlreiche Publikationen, Proteste, vielfältige Umsetzungsprojekte, großformatige Konferenzen und ersten Nachhall im gesellschaftlichen Diskurs.
Unter Postwachstum sind vielfältige Ansätze zu verstehen, die auf Basis einer grundsätzlichen Kritik der Wachstumsorientierung moderner Gesellschaften die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation artikulieren.
Forschungsprojekte zum Gegenstand Postwachstum finden vielfältige Ansatzpunkte für ihre Analysen:
– Untersuchungen der vielfältigen Bewegungsaktivitäten (Proteste, Organisationen, alternative Lebensformen, erste Umsetzungsprojekte)
– Diskursanalysen zentraler Ideen aus dem Bereich Postwachstum (Entstehung, Verhältnis zwischen den Teilbereichen des Diskurses, Verbindung mit diskursiven Elementen außerhalb des Spezialdiskurses oder Nachhall des Postwachstumsdiskurses in anderen gesellschaftlichen Bereichen).
– Detaillierte Diskussionen der Kritik- und Transformationskonzepte im Bereich des Postwachstumsdiskurses
Empfehlung zum Einstieg in das Thema
Schmelzer, Matthias / Vetter, Andrea (2019: Degrowth / Postwachstum zur Einführung, Hamburg: Junius.
Praxis der Kritik. Luc Boltanskis Soziologie der Kritik und die politische Praxis.
In den vergangenen Jahren wurde mit der pragmatischen Soziologie der Kritik von Luc Boltanski ein Ansatz entwickelt, der eine neue Perspektive auf die soziale Praxis der Kritik eröffnet.
Die Unterschiede zu etablierten Praktiken der Kritik und ihrer Perspektivierung manifestieren sich vornehmlich in zwei Dimensionen:
- Boltanskis praxeologischer Ansatz verortet den Schlüssel zum Verständnis des Sozialen in den jeweils spezifischen Interaktionen zwischen Subjekten, Objekten und ihrem geteilten Kontext. Das Soziale erscheint ihm somit weniger prädeterminiert oder verfestigt, sondern ist per se fragil, unsicher und ereignishaft. Genau aus diesem Grund müssen wissenschaftliche Analysen möglichst nah am Gegenstand ansetzen, um alle wesentlichen Determinanten der jeweiligen Interaktionspraxis zu erfassen.
- Ein derartiges Verständnis des Sozialen führt zu einer Lesart von Kritik, die letztere nicht als Ausnahmefall, sondern vielmehr als vielfältige, dauerhafte und das Soziale konstituierende Praxis beschreibt. Subjekte artikulieren Kritik vor dem Hintergrund intersubjektiv geteilter und allgemein akzeptierter Rechtfertigungsordnungen. Sie greifen auf ebenjene Ordnungen zurück, um ihre Kritik zu qualifizieren, sich zu rechtfertigen oder Prüfungen und Kompromisse einzuleiten.
Beide Dimensionen führen zu einem deutlich aktiveren Subjektverständnis als bei strukturalistischen oder diskurstheoretischen Ansätzen. Maßgeblich für erfolgswahrscheinliche Kritik ist die Kongruenz von modifiziertem Rechtfertigungsmuster einerseits und Rechtfertigungssituation andererseits. Das Subjekt ist demnach fortwährend bestrebt, in der konkreten Rechtfertigungspraxis genau diese Passgenauigkeit herzustellen, wobei es permanent mit der Komplexität und Unsicherheit dieser Praxis konfrontiert wird.
Verschiebungen in der Rechtfertigungspraxis – verstanden als Zusammenspiel von Rechtfertigungsordnungen und ihrer konkreten lokalen Adaption in kritischer Praxis – führen auch zu Veränderungen in der sozialen Ordnung. Jene Rechtfertigungsordnungen, die sich in der kritischen Praxis bewähren, prägen in der Summe ihrer Anwendungen das Bild von Gesellschaften. In diesem Sinne sind Verschiebungen in Rechtfertigungsordnungen explizit politische Phänomene. Der Unterschied zu gängigen diskurstheoretischen Ansätzen besteht darin, dass sowohl der Ursprung der Verschiebungen wie auch der Ansatzpunkt der wissenschaftlichen Analyse in der kritischen Praxis angelegt ist.
Damit wird die Soziologie der Kritik zu einem Ansatz, der Phänomene der unmittelbaren Artikulationspraxis von Subjekten beobachtet und diese Beobachtungen für die Analyse gesamtgesellschaftlicher Phänomene verdichtet und greifbar macht.
Forschungsprojekte sind bspw. in folgenden Bereichen denkbar:
- Welche Anwendungen von Boltanskis Modell auf Phänomene politischer Praxis sind denkbar? Wie können diese analytisch/methodisch umgesetzt werden?
- Wie kann aus der Perspektive der Soziologie der Kritik ein Verständnis von Demokratie/demokratischer Praxis entwickelt werden?
- Welche Folgen hat Boltanskis Idee von Institutionen als kontingenz-verschleiernden Instanzen für das gängige Bild des politisch-administrativen Systems?
- Inwieweit können Verschiebungen sozialer Ordnungen auf kritische Praxis zurückgeführt werden? Wo wirkt kritische Praxis gesellschaftsverändernd?
- Wie können soziale Bewegungen aus der Perspektive der Soziologie der Kritik analysiert werden?
Empfehlung zum Einstieg in das Thema
- Bogusz, T. (2010). Zur Aktualität von Luc Boltanski. Einleitung in sein Werk. Wiesbaden: VS.
- Boltanski, L. / Chiapello, E. (2006). Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: Herbert von Halem Verlag.
- Celikates, R. (2009). Kritik als soziale Praxis. Gesellschaftliche Selbstverständigung und kritische Theorie. Frankfurt am Main: Campus Verlag.